Ein Appell nicht nur zum Weltfrauentag: Wenn ihr etwas positiv verändern wollt, müsst ihr auch mal ordentlich den Schlamm aufwühlen, sagt die indische Anwältin Flavia Agnes. Und sie weiß, wovon sie spricht.
Frauen als Friedensstifterinnen, Frauen als Motor sozialer Veränderung: Mit der Würdigung solcher Pionierinnen aus verschiedenen Kontinenten ist am Mittwochabend die Begegnung „Voices of Faith“ im Vatikan zu Ende gegangen. Die von der Fidel Götz-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Jesuitenflüchtlingsdienst ausgerichtete Konferenz fand bereits zum vierten Mal am Weltfrauentrag im Vatikan statt.
Wenn ihr etwas positiv verändern wollt, müsst ihr auch mal ordentlich den Schlamm aufwühlen, wendet sich die indische Anwältin Flavia Agnes an das überwiegend weibliche Publikum in der gut gefüllten Casina Pio IV. in den Vatikanischen Gärten. Agnes, die hiermit das Thema der Veranstaltung „Stirring the water: Making the impossible possible“ aufgreift, kennt sich aus mit der Rebellion gegen Unrecht und gesellschaftliche Missstände. Auch mit dem Widerstand, der einem dann entgegenschlägt. Seit Jahrzehnten setzt sich die Katholikin in dem Land, das immer wieder mit Gruppenvergewaltigungen und anderen Angriffen auf Frauen von sich reden macht, für Opfer sexueller Gewalt ein. Dort, wo das weibliche Geschlecht immer noch als „zweite Klasse“ behandelt wird, hat die mutige Menschenrechtlerin bis heute sage und schreibe 50.000 Frauen Rechtsbeistand geleistet.
Im Vatikan erzählt sie am Weltfrauentag von einer Kultur der Gewalt in Indien, vom alltäglichen sexuellen Missbrauch Minderjähriger, von Vätern, die ihre Töchter schwängern sowie dem verbreiteten Unwissen über Menschenrechte und die Gleichwertigkeit der Geschlechter in ihrem Heimatland.
Dabei ist die Frauenanwältin Flavia Agnes nicht die einzige Sprecherin auf dieser Veranstaltung, bei der selbst erfahrenes Leid zum Ausgangspunkt eines lebenslangen Einsatzes für die Menschenwürde wurde: Sie sei als junge Frau selbst Opfer häuslicher Gewalt geworden, lässt die heute 70Jährige wissen. Die Erkenntnis, dass sie in Indien mit diesem Schicksal nicht alleine dastand, wurde zum Motor eins Kampfes für die Würde und Rechte von Frauen. Schmerz und Wut erstarrten nicht in Depression oder Hass, sondern mündeten im Einsatz für andere, so dass das das Trauma zum Motor gesellschaftlicher Veränderung werden konnte.
Das Unmögliche möglich machen – davon erzählt auch die Geschichte der 23-jährigen aus Ruanda stammenden Ärztin Mirreille Twayigira, die als Kleinkind vor dem Genozid floh und sich als Waise sechs Jahre lang in den Wäldern durchschlug, bevor sie über ein Flüchtlingslager in Malawi Zugang zur weiterführenden Schule und schließlich zu einem Stipendium in China erhielt. Mirielle lernte Chinesisch und machte 2016 ihren Abschluss an der medizinischen Hochschule von Shandong. Die junge Ärztin kehrte nach Afrika zurück, wo sie sich heute um Kriegswaisen kümmert. „Gebt Flüchtlingen, wie ich es war, Zugang zu höherer Bildung“, fordert die elegante junge Dame auf der Vatikan-Konferenz. Deren Einsatz würde sich hundertfach für den Kontinent auszahlen.
Es sind Geschichten von Frauen, die mit eigentlich nichts in den Händen Großes bewegten, die aus der Kraft ihres Herzens Berge versetzten, die Unrecht nicht hinnahmen, den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen. So wie Marguerite Barankitse aus Burundi, die sich als Tutsi-Frau 1993 schützend vor ein Hutu-Haus stellt und ihre eigenen Leute von einem blutigen Rachefeldzug abhält, nachdem ihre eigenen Angehörigen von Hutus ermordet wurden. Die in Folge der Gemetzel ein Waisenhaus für Kinder aller ethnischen Gruppen gründet und 2015 Burundi verlassen muss, weil sie als Zeugin vor dem Internationalen Strafgerichtshaus aussagt und damit in ihrer Heimat zur Staatsfeindin wird. Die stattliche und in bunte Gewänder gehüllte Frau erzählt lebhaft über Gewalt und Hass, Versöhnung und Heilung. Ihren Vortrag beendet sie singend.
In einen Rahmen gestellt werden diese beeindruckenden Zeugnisse in der Diskussion durch erfahrene Frauenrechtlerinnen, die auf der Konferenz den Blick aufs Ganze lenken, unter anderem auf die Diskrepanz zwischen weiblichem Potential und der systematischen Zurückstellung und Benachteiligung von Frauen in der Welt. Frauen sind in der Politik und der Wirtschaft, im Bankenwesen und im Militär auch heute noch völlig unterrepräsentiert, beklagt die Britin Scilla Elworthy, die sich als Leiterin einer Forschungsgruppe in Oxford für den Frieden in der Welt einsetzt und bereits drei Mal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen war. Das gelte ja auch für die Kirche, merkt sie bei der Veranstaltung im Vatikan kritisch an und erntet Applaus auch von den männlichen Teilnehmern der Konferenz, die man leider an einer Hand abzählen kann. Von der Kurie ist hier nichts zu sehen, die ist mit dem Papst zu Fastenexerzitien nach Ariccia gefahren.
Dafür sind ein Paar Jesuiten mit dabei, die die Konferenz ja neuerdings mit organisieren. Die Miteinbeziehung von Frauen in der Kirche bleibt „an vielen Fronten verhindert“, stimmt etwa der neue Generalobere der Jesuiten P. Arturo Sosa zu. Einen Grund dafür habe Papst Franziskus benannt: das Fehlen einer umfassenden Theologie der Frau. Sosa mahnt darüber hinaus auch eine erneuerte, Frauen miteinbeziehende Lehre von der Kirche an. Eine solche Ekklesiololgie sei notwendig, „wenn die Rollen der Frauen so miteinbezogen werden sollen, wie es sein soll“. Die Inklusion von Frauen sei ein „kreativer Weg, die nötigen Veränderungen in der Kirche voranzubringen“.
Veränderungen – die muss man freilich auch zulassen. „Wenn man sich Veränderung nicht vorstellen kann, passiert sie auch nicht“, gibt Thomas Smolich vom Jesuitenflüchtlingsdienst zu bedenken. So ist „Voices of faith“ auch nicht nur eine Plattform, um das besondere und vielfältige Wirken von Frauen in der Friedensarbeit vorzustellen, sondern auch ein Sprungbrett: Bei der Begegnung, die internationale Frauenrechtlerinnen und Aktivistinnen, verschiedene Akteure nicht nur der Kirche und Medienvertreter zusammenbringt, werden auch neue Verbindungen geknüpft und man steht sich beratend und unterstützend zur Seite. So entsteht Synergie, es öffnet sich ein Raum in die Zukunft, der mit Solidarität, Hoffnung, Vitalität und Leidenschaft für die Sache zu tun hat. Denn ohne diese Qualitäten hätten die Pionierinnen von „Voices of Faith“ schon längst eingepackt.