EU-Flüchtlingsdeal – nicht nur mit der Türkei

refugees_of_south_sudan Ein EU-„Flüchtlingsdeal“ gibt’s nicht nur mit der Türkei. So was ist auch mit dem Sudan in Arbeit. So will Deutschland als Koordinator eines EU-Grenzschutzprojektes im Sudan auch verhindern, dass Flüchtlinge aus der umkämpften Region Richtung Europa strömen: Zwei Auffanglager sollen gebaut werden. Was offiziell „Fluchtursachenbekämpfung“ genannt wird, gleicht bei näherem Hinsehen einem eher fragwürdigen Kuhhandel…

Kritik an den Plänen, zwei solche Lager zu errichten, kommt von Macram Max Gassis. Der emeritierter Bischof der sudanesischen Diözese war in diesen Tagen in Aachen, um mit Hilfswerken Hilfsmaßnahmen für die Menschen in den Nuba-Bergen zu koordinieren. Viel Geld sei im Spiel, das in den falschen Händen zu landen droht, so Gassis: „Wer wird denn diese Lager einrichten? Da liegen Millionen im Korb, Deutschland beteiligt sich mit 52 Millionen Dollar, die EU gibt 100 Millionen. Aber ist das auch eine moralische Lösung? Wer wird denn diese Lager bauen? Der deutsche Außenminister – der Arme, er befindet sich in einer schweren Lage – sagte: Wir haben das Projekt begonnen, wollen das Geld aber nicht dem islamischen Regime in Khartum geben. Wem also dann? Nichtregierungsorganisationen. Wird Omar al Bashir aber glücklich darüber sein? Er will einen Anteil daran, wird keine Ruhe geben!“

Der EU-Vorstoß im Sudan ist aus menschenrechtlicher Sicht in der Tat umstritten. Gegen Omar al Bashir hatte der Internationale Strafgerichtshof von Den Haag Haftbefehl wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Darfur-Konflikt erlassen, und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Sudan war mit Verweis auf die Menschenrechtslage eigentlich eingestellt worden. Interesse an einer Zusammenarbeit markiert derweil die sudanische Regierung, die sich gern auf einen „Kuhhandel“ einlässt: Wenn die EU ihre Versprechungen im Sudan umsetze, sei man bereit, in die EU geflohene Menschen aus der Region wieder zu übernehmen, sagte Außenminister Ibrahim Ghandour: „Der Migrationsminister in Brüssel hat mir gesagt: Wir haben 12.000 illegale Migranten aus dem Sudan in der EU. Sind Sie bereit, die zurückzunehmen? Ich sagte ihm: Sofort. Setzt ihr Eure Versprechungen aus den Konferenzen um und sie sind herzlich willkommen.“

Herzlich willkommen – die Realität in dem Kriegsland sieht anders aus, weiß Macram Max Gassis. Er sieht mit den geplanten EU-Maßnahmen die Menschenrechte der Flüchtlinge im Sudan nicht ausreichend geschützt. So seien viele Fragen völlig ungeklärt: „Was wird in dem Flüchtlingslager passieren? Wer wird das verwalten? Wer wird sich um die Ernährung und Gesundheit der Menschen kümmern? Wie viele Frauen und Mädchen werden da vergewaltigt werden in solchen Camps? Ist das ein gesunder Ort für Menschen? Da werden Menschenrechte verletzt, Menschen haben das Recht zu leben, zu leben, sich zu bewegen, zu äußern – wenn man sie in ein Camp einschließt, raubt man ihnen diese Rechte. Camps sind keine Lösung.“

Ein vergessener Konflikt

Macram Max Gassis äußerte sich in Aachen auch über die Lage der Menschen in den umkämpften Nuba-Bergen. Tägliche Angriffe mit Militärflugzeugen, Verfolgung, Hunger und Krankheit – so sieht der Alltag dort aus. Das Drama in der Grenzregion zwischen dem Sudan und Südsudan vollzieht sich weitgehend abseits der Weltöffentlichkeit, in Deutschland wird kaum darüber berichtet.

Die Nuba-Berge liegen zwar im muslimisch dominierten Sudan, die Menschen dort fühlen sich aber dem Südsudan verbunden. Seit der Unabhängigkeit des Südsudan terrorisiert die sudanesische Regierung die Nuba immer wieder durch Bombenangriffe, die Region ist auch aufgrund von Erdölvorkommen von Interesse. Die Gewalt betrifft 1,3 Millionen Menschen, die Hälfte davon Kinder, Tausende haben sich auf die Flucht begeben. Das Vorgehen der sudanesischen Regierung gegen die Nuba kommt laut Macram Max Gassis einem Völkermord gleich:

„Wenn man Bomben auf Unschuldige wirft, vor allem auf Frauen, Kinder und Alte, wenn man sie hungern lässt, wenn man sie nicht mit Medizin versorgt… wie sieht dann die Zukunft dieser Menschen aus? Sie werden sterben, wenn nicht durch Kugeln oder Bomben, dann durch Krankheit oder Nahrungsmangel. Die Regierung in Khartum tötet unschuldige Zivilisten, damit wir keine Zukunft haben. Wie soll man das nennen? Auslöschung? Genozid? Für mich ist es eine komplette Zerstörung, was in den Nuba-Bergen geschieht.“

Nuba als Vorbild: Einheit in der Vielfalt

In den Nuba-Bergen leben traditionell verschiedene Volksgruppen mit jeweils eigenen Sprachen friedlich zusammen, die Gebirgsregion gilt als altes Rückzugsgebiet für kleinere ethnische Gruppen und Hirten, Arabisch ist hier nur zweite oder Verkehrssprache. Stammeskonflikte oder Religionskriege waren hier nie Thema, so Macram Max Gassis, die Auslöschung der Nuba wäre in seinen Augen auch deshalb fatal:

„Die Menschen aus den Nuba-Bergen geben Südsudan und den afrikanischen Ländern eine Lektion: Sie sind ein Geschenk. Afrikas Krebsgeschwür sind die Stammeskonflikte. Der Kontinent leidet unter dem Tribalismus, doch die Nuba können Afrika und Südsudan eine gute Lehre erteilen. Denn sie sind kein Stamm, sondern eine Rasse mit vielen Stämmen, und als solche leben sie zusammen. Religion spielt keine wichtige Rolle. In einer Nuba-Familie findet man also Katholiken, Protestanten, Muslime und diejenigen, die traditionellem Glauben anhängen. Sie leben Einheit in der Vielfalt. Deshalb muss die Kirche die Nuba vor der Vernichtung bewahren.“

Aufgrund der Kriegssituation sind die Basisversorgung und die internationalen Nothilfen für die Menschen in den Nuba-Bergen nahezu zum Erliegen gekommen. Das „Mother of Mercy“-Krankenhaus in Gidel, das einzige der Region, kommt mit der Behandlung von Kriegsverletzten und mangelernährten Kindern kaum noch nach. Fast allein die von Bischof Gassis gegründete Stiftung kann etwas Erleichterung für die Menschen bringen: Die „Bishop Gassis Relief and Rescue Foundation“ (BGREF) kooperiert mit Partner-Hilfswerken aus verschiedenen europäischen Staaten, in Deutschland etwa mit dem Kindermissionswerk, welches das Koordinationstreffen diese Woche in Aachen ausrichtete. Sie alle teilen die Hoffnung, dass der blutige Konflikt in den Nuba-Bergen bald ein Ende findet.

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