Italiens „Fertility day“ – Zeugen für den Welfare

fertility-day-bild Um den Italienern Lust auf Nachwuchs zu machen, installiert die Politik einen „Fertility day“, einen „Tag der Fruchtbarkeit“ am kommenden 22. September, mit dem man das kollektive Bewusstsein um die Fragilität und Grenzen der eigenen Reproduktionstüchtigkeit schärfen will. Was von der Idee her nicht zu schlecht ist, ist in der kommunikativen Umsetzung katastrophal. Eine bevormundende Familienpolitik im Jahr 2016 kann einem schon auf den Magen schlagen… Ein Verriss.

Meinen die das ernst? fragte ich mich, als mein Auge auf die neue Kampagne des italienischen Gesundheitsministeriums zur Steigerung der Geburtenrate in Italien fiel. Auf einem ästhetisch gesehen eher besch…eidenen Plakat (das konnte selbst ich sehen), streckt ein junges Mädchen dem Betrachter eine Sanduhr entgegen, daneben steht der Slogan „La bellezza non ha età, la fertilità si – Schönheit kennt kein Alter, Fruchtbarkeit ja“. Mit der anderen Hand hält die in einen engen roten Pulli Gekleidete (altersmäßig dürfte sie jedenfalls noch kein Problem mit Fruchtbarkeit haben) ihren flachen Bauch. Nein, hier geht es nicht um Actimel oder die nächste Abnehm-Kur (in dem Fall wäre ein bisschen Theatralik ja zu entschuldigen), sondern es geht um die menschliche Reproduktionsfähigkeit, insbesondere die weibliche, die (wieder einmal, gähn) zum kollektiven Thema gemacht wird. Irgendwie daneben, dachte ich mir: Sollen sich jetzt alle Frauen über dreißig, die keine Kinder haben, in den Arsch getreten fühlen? Und sollen sich alle Mütter (mich eingeschlossen) jetzt erleichtert fühlen, dass sie „alles richtig gemacht“ haben sollen?!

„La fertilità è un bene comune – die Fruchtbarkeit ist ein Gemeingut“ geht es auf einem anderen Bild der Kampagne weiter, auf dem ein tropfender Wasserhahn abgebildet ist. Aha, Fruchtbarkeit ist also ein „Gemeingut“ wie Trinkwasser, interessant. Seit einiger Zeit sorgt in Italien die drohende Privatisierung des Trinkwassers für Unmut bei den Bürgern, die in einem Referendum dagegen stimmten. Na logo, keiner will für so etwas Grundlegendes wie Wasser mehr Geld zahlen und abhängig sein von privaten Unternehmen. Das lässt sich doch wunderbar auf das Kinderkriegen übertragen, hat sich da wohl das Gesundheitsministerium bzw. die von ihm engagierte Werbeagentur gedacht: Den Italienern gefällt es nicht, wenn Privatunternehmen beim Trinkwasser mitmischen, dann lassen sie sich ja vielleicht auch davon überzeugen, dass ihre Fruchtbarkeit keine „Privatangelegenheit“, sondern ein „Gemeingut“ ist.

Zugespitzt lautet die Botschaft also: Italiener und Italienerinnen! Löscht den Durst des Staates nach Nachwuchs! Lasst eure reproduktiven Körpersäfte für das Landeswohl fließen! Setzt eure Biomasse ein für Italien, des Welfares willen!

Zeugen für den Welfare

Stimmt ja: Der Geburtenrückgang gefährdet den Wohlfahrtstaat, von den Renten der Eltern können die Jungen nur träumen, der Generationenvertrag funktioniert nicht mehr. Dies gilt auch für Italien. Mehr Bewusstsein darum kann nicht schaden, hat sich die Politik gedacht und sie entwickelt Kampagnen, um der reproduktiven Motor der Gesellschaft zu befeuern. Das ist nachvollziehbar, die Frage ist nur, wie man so etwas macht. Im Paper zur Kampagne auf den Seiten des Gesundheitsministeriums (das bereits Mai 2015 raus war) heißt es, Ziel der Kampagne sei ein Bewusstseinswandel: die Bevölkerung solle Fruchtbarkeit nicht mehr allein als grundlegendes Bedürfnis von Paaren, sondern der ganzen Gesellschaft begreifen, man strebe beim Thema Prokreation eine „kulturelle Erneuerung“ an.

Kinderkriegen fürs Gemeinwohl und zur Rettung der Renten? Ganz ehrlich, ich habe noch nie gehört, dass jemand deshalb Mutter oder Vater wurde. Welches Paar hat schon Lust darauf, Kinder zu zeugen, wenn ihm der stiefmütterliche Staat schon vor der Hochzeit bzw. Zeugung eröffnet, dass der Nachwuchs den maroden Haushalt aufbessern soll? Und wenn es um „kulturelle Erneuerung“ geht – warum macht die Kampagne dann nicht Lust auf Kinder (statt Torschlusspanik) und auf eine kinderfreundliche Kultur? Stattdessen stellt sie potentielle Eltern von vornherein subtil als verantwortungslose, hedonistische, egoistische Bürger dar.

Männer, rettet eure Spermien!

Ich gebe zu, die Kampagne ist ja nicht nur schlecht. Zu viele Leute tun zu wenig für das Gemeinwohl, und es gibt ihn ja, den zügellosen Hedonismus, bei dem Leute ausschließlich um sich selbst kreisen (allerdings auch Leute mit Kindern), zu viel Zigaretten konsumieren und zu viel Alkohol trinken. So weit so gut. Wenn das Gesundheitsministerium also über die Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit durch Rauchen und Trinken (die Kampagne betont etwa auch, dass Kinderlosigkeit nicht nur mit Frauen zu tun hat, hört hört), tut es seinen Job. Wenn es seine Bürger aber schon dazu anhalten will, ihr Reproduktionsvermögen für die Kollektivität einzusetzen, dann wenigstens nicht mit erhobenem Zeigefinger! Auf eine solche Art die private Lebensplanung der Bürger steuern zu wollen, geht zu weit und ist vor allem ziemlich ungeschickt. Der Zweck heiligt nicht alle Mittel.

Ein Gespenst geht um in Italien: das Einzelkind!

Interessant (und traurig) ist hierbei, dass man offenbar meint, besonders Frauen offensiv an ihre biologische Uhr erinnern zu müssen (ihnen mit der Sanduhr vor der Nase rumwedeln zu müssen). Das ist das keine Fürsorge, sondern Bevormundung! Und als regelrecht übergriffig kann man den Kommentar der Kampagne zu Müttern von Einzelkindern bezeichnen, die stigmatisiert werden: „Mutterschaft aufzuschieben führt zum Einzelkind – wenn es denn kommt…“ steht neben dem Bild eines kleinen Jungen mit Brille, hinter dessen Rücken sich ein gespenstischer Schatten abzeichnet. Ist späte Mutterschaft eine Schuld? Sind Frauen, die „nur“ ein Kind bekommen, weniger wert auf der vom Staat propagierten Fruchtbarkeitsskala? Sind Einzelkinder (der Junge auf dem Bild erscheint wie eine Karikatur) grundsätzlich verzogen und abschreckend? Warum kommen in Italien denn die ersten Kinder so spät (wohl aus ähnlichen Gründen wie in Deutschland ist zu vermuten)? Nach Gründen für das Phänomen wird nicht gefragt, stattdessen wird mit dem propagierten Ideal (kinderreich, jung = „kreativ“ und tätig für das Gemeinwohl) Druck ausgeübt, vor allem auf Frauen. Herzlichen Glückwunsch, liebes Gesundheitsministerium, so verbreitet man garantiert keine Lust auf (mehr) Kinder!

Arbeitsverträge, die kürzer sind als eine Schwangerschaft

Besonders der Slogan „Junge Eltern – die beste Weise, kreativ zu sein“, neben dem Bild zweier Fußpaare unter einer Bettdecke, gespickt mit einem Smiley (wirklich sehr lustig!) dürfte jungen Italienerinnen und Italienern wie Hohn in den Ohren klingen – die Jugendarbeitslosigkeit in Italien liegt aktuell bei fast 40 Prozent, so was wie Elterngeld gibt es nicht geschweige denn ausreichende Krippenplätze, immer mehr junge gut ausgebildete Leute verlassen das Land. Und wenn wir nochmal über „Gemeinwohl“ und Fruchtbarkeit sprechen wollen: Bildet sich Gemeinwohl (keine Ressource wie Wasser, sondern ein komplexes, sozial-politisches Gebilde) nicht aus möglichst optimalen, unterschiedlichen Bedingungen des Zusammenlebens, die das Wohl aller Menschen fördern? Ist hier nicht besonders die Politik gefordert, Bedingungen zu schaffen, die Familien, aber auch Alleinerziehende etc., vor allem Frauen, entlasten und fördern? Tun Leute ohne Kinder nichts fürs Gemeinwohl oder nicht sogar viel mehr? Über so etwas sprechen die Plakate der Kampagne mitnichten.

Der Aufschrei

Dementsprechend groß war dann auch der Aufschrei über die unglückliche Umsetzung, der durch die italienische Öffentlichkeit in Presse und sozialen Medien ging. Die extremsten Kritiker der Kampagne verglichen den Aufruf des Gesundheitsministeriums sogar mit der autoritären Familienpolitik diktatorischer Regimes des 20. Jahrhunderts. Sie mögen bei Mutterschaft als Pflicht ungute Assoziationen bekommen haben und an Hitlers Mütter als „Schoss des deutschen Volkes“ und Ceaucescus „Gebärmaschinen“ gedacht haben. (Na ja, vielleicht etwas übertrieben, mit einer solchen Repression hat die in den Sand gesetzte Kampagne dann doch nicht wirklich etwas zu tun, wie ich finde.) Wie dem auch sei – als Reaktion auf die heftigen Reaktionen kündigte Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin umgehend eine Änderung der Kampagne an. Man habe zum „Nachdenken“ provozieren wollen, verteidigte sich die Politikerin in einem Interview.

Halten wir fest: Dass man in Italien aktuell viel über Fruchtbarkeit spricht (und scherzt!, es gab teilweise geniale Satire-Spots, welche die Kampagne demontierten), hat das Gesundheitsministerium erreicht. Dass das aber zu mehr Kindern führen wird, ist zu bezweifeln. Es sei denn, man spendiert dem jungen, zeugungsfähigen Teil der Bevölkerung (im Übrigen leben hier ja nicht nur native Italiener, sondern sehr viele Migranten, die mehr Kinder bekommen als die Einheimischen, Steuern zahlen und mit fast 10 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, darüber müsste man mal informieren!) einen Wellness-Urlaub mit Babysitter für die Einzelkinder?! So was in der Art schlägt z.B. die Kampagne vor, die Dänemark vor einigen Jahren zur Steigerung der Geburtenrate veröffentlichte („Do it for Denmark!“). Da wäre ich schon eher dabei…

 

Ein Gedanke zu „Italiens „Fertility day“ – Zeugen für den Welfare

  1. menuchaprojekt

    In einer freundlichen Umgebung mit den entsprechenden Rahmenbedingungen werden Familien auch wieder mehr Kinder bekommen. Ansonsten dient die Kampagne dazu Geld für Werbebüros etc. auszugeben.

    Antwort

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