Nein, es gibt sie nicht in der katholischen Kirche und wird sie wohl auch in den nächsten 100 Jahren nicht geben: Priesterinnen. Das gleich vorweg. Kein Grund, nicht über Frauen im Vatikan zu sprechen. Denn unter Franziskus setzt die katholische Kirche zunehmend auf weibliche Expertise.
Er wünsche sich mehr Frauen an den Schaltstellen der Macht und eine Theologie der Frau, hatte der argentinische Papst nicht lange nach seinem Amtsantritt geäußert. Und damit angedeutet, dass er dabei nicht nur an Frauen als „Unterstützer“ männlicher Entscheider gedacht hat, sondern an Frauen als gestaltende Subjekte. Ein Feminist ist der Papst deshalb noch nicht. Ihm scheint es aber darum zu gehen, das vielfältige Wirken von Frauen sichtbarer zu machen und weibliches Know-how zugleich stärker für die Kirche zu nutzen.
Kompetenz, nicht Kosmetik
Einige Entscheidungen der letzten Monate lassen aufhorchen. So sollen zum Beispiel die Frauenseiten der Vatikanzeitung zu einem mehrsprachigen Magazin ausgebaut werden. Unter Franziskus wird der Umfang der seit 2012 bestehenden Beilage verzehnfacht: Auf 40 Seiten sollen in dem Magazin demnächst Themen rund um Frauen und Kirche aus spezifisch weiblicher Perspektive verhandelt und damit eine Art „weibliches Sprachrohr“ der Weltkirche geschaffen werden. Geplant ist zunächst eine Auflage von 18-20.000, in der Redaktion sitzen Frauen aus Europa, Afrika und Lateinamerika.
Auch in den Bereichen Kultur und Wissenschaft setzt der Vatikan auf weibliche Expertise, und zwar in breitem Spektrum. Das zeigt die Gründung eines ständigen weiblichen Beratergremiums für den Päpstlichen Kulturrat. Etwas in dieser Form gab es für den Vatikan noch nie. Man wünsche sich von den Beraterinnen ein „objektives Urteil“ über die Tätigkeit des Kulturrates und wolle inhaltliche Vorschläge, die „neue Horizonte“ aufzeigen können, erklärte der italienische Kardinal Gianfranco Ravasi, der die Einrichtung des Frauenrates vorangetrieben hat. Unter den Frauen, die der vatikanischen Beratungsgruppe derzeit angehören, sind die Google-Managerin Giorgia Abeltino, die Mode-Unternehmerin Lavinia Biagiotti, die Aufsichtsratspräsidentin des Kinderkrankenhauses Bambino Gesù Mariella Enoc, die Botschafterin Irlands beim Heiligen Stuhl Emma Madigan, die Ordensfrau Mary Melone, die erste Rektorin einer Päpstlichen Universität in Rom, die Leiterin des römischen Frauengefängnisses in Rebibbia Ida del Grosso sowie mehrere italienische Journalistinnen. Auch anderen Religionen und Atheisten steht das Gremium offen. Frauen seien in vielen Bereichen „besser“ als ihre männlichen Kollegen, rechtfertigt Ravasi die Einrichtung der Gruppe mit Verweis auf Erfahrungen mit männlichen und weiblichen Beratern innerhalb der Kirche. Es gehe also nicht darum, das Image des Vatikans aufzupolieren und „irgendwie auch Frauen dabei zu haben“, sondern um Kompetenz.
Drittens: Frauen sind zahlenmäßig als Angestellte innerhalb des Vatikans insgesamt auf dem Vormarsch. Wie eine Recherche von Radio Vatikan ergab, ist die Zahl der weiblichen Vatikan-Angestellten in den letzten Jahren rascher gestiegen als die der männlichen. Im dritten Pontifikatsjahr des argentinischen Papstes ist immerhin fast ein Fünftel seiner Belegschaft weiblich. Vor allem im Heiligen Stuhl, dem Verwaltungsapparat der Weltkirche, sitzen viele hochqualifizierte Damen: 41 Prozent sind Akademikerinnen, die beispielsweise als Abteilungsleiterinnen in den Kurienbehörden, als Archivarinnen, Historikerinnen oder Journalistinnen arbeiten. Auf den höchsten Posten der Vatikanämter sitzen allerdings nach wie vor keine Frauen: So werden die Spitzen der Dikasterien bis heute traditionell mit Klerikern, also Männern, besetzt.
„Neue Horizonte“
Offenbar setzt sich in den letzten Jahren im Vatikan zunehmend die Erkenntnis durch, dass es sich lohnt, gut ausgebildete Frauen stärker mit ins Boot zu holen. Und zwar nicht allein, weil es heute schlichtweg mehr davon gibt als früher. Denn weibliches Denken und Wirken hat viel mit der Art von Fortschritt zu tun, die der Papst propagiert: Ein Fortschritt, der sich grundlegend vom kapitalistischen und neoliberalen Modell unterscheidet und der menschliche Entwicklung, Nachhaltigkeit und Inklusion in den Vordergrund stellt. So erwirtschaften Bäuerinnen in Entwicklungsländern zum Beispiel Erträge für ganze Gemeinschaften, Unternehmerinnen in Industrienationen propagieren sozialverträgliches Wachstum, und Ingenieurinnen der Robot-Forschung entwickeln weniger Spielereien als denn Anwendungen zur Unterstützung des Menschen, um nur ein Paar Beispiel zu nennen. Ganz pauschal gesagt: Frauen haben Interesse am Gemeinwohl, sie nehmen das soziale Ganze in den Blick.
Diese Perspektive wünscht sich der Papst auch für die Kirche. Regelmäßig stellt er Frauen als eigentlichen Schatz der Kirche dar, er spricht über den „weiblichen Genius“ und rät jedem Kirchenmann, Freundschaften zu Frauen zu pflegen. Dazu passt es, wenn Kardinal Ravasi von „neuen Horizonten“ spricht, die Frauen der Kirche auftun können. So glaubt er, dass ein Frauenrat auch bei anderen Kurienbehörden Schule machen könnte. Solche Darstellungen weisen auf „blinde Flecken“ und Mängel auf der anderen Seite hin: Man erhofft sich von den Frauen eine neue, eine andere Sicht für die Kirche, sieht sie auch als mögliches „Korrektiv“ einer Institution, die ansonsten „blind“ oder „krank“ zu werden droht. Weltlich gesprochen könnte man auch sagen, der Papst liegt damit in gewisser Weise im Trend: „Schlüsselqualifikationen“ oder „feminine skills“ werden in vielen Bereichen heute auch von männlichen Führungskräften verlangt.
Wollen die Frauen auch in den Vatikan?
In eine entsprechende Personalpolitik oder ein „Gender Monitoring“ übersetzt hat sich Franziskus Konzept im Vatikan allerdings noch nicht. Gerade einmal zwei Frauen halten aktuell höhere Positionen in den Kurienbehörden, sie arbeiten dort als Untersekretärinnen. Was in der Wirtschaftswelt die „gläserne Decke“ ist, die Frauen den Weg bis ganz nach oben versperrt, ist im Vatikan die Tradition, genauer: die traditionelle Verknüpfung hoher Ämter mit dem Klerikertum: Nur geweihte Männer können demnach bestimmte Ämter bekleiden.
Frauen auf Spitzenfunktionen in den Vatikanbehörden sind dennoch nicht ausgeschlossen, glaubt Ravasi, der unerschütterliche Visionär aus dem Päpstlichen Kulturrat. Schnell gehen wird das aber nicht, macht er vorschnelle Hoffnungen gleich zunichte: „Dazu braucht es eine theoretische und eine praktische Ekklesiologie. Andernfalls würden die Leute, auch Frauen selbst, einen solchen Vorschlag gar nicht annehmen.“ Offenbar hat Ravasi bereits auch mit vielen Frauen über das Thema gesprochen. Erst prüfen, debattieren, überzeugen, dann Nägel mit Köpfen machen, will er wohl sagen, andernfalls fliegt uns der Laden hier um die Ohren. Er ist eben auch Politiker, weiß um die Befindlichkeiten im Vatikan.
Ravasi hat auch noch eine andere Idee für die Frauen, eine Abkürzung, sozusagen. Er bittet sie, darüber nachzudenken, was für sie denn sonst noch so drin wäre im Vatikan, jenseits der „priesterlichen oder kurialen Funktionen“: „Das sind Funktionen, die von Männern kodifiziert wurden. Man müsste da Kreativität entwickeln. Die Präsenz von Frauen in der Gesellschaft hat sich in Jahrhunderten entwickelt, und ich hoffe, dass in der Kirche in den nächsten Jahrzehnten – nicht Jahrhunderten! – Ämter, Funktionen, Verantwortungen entstehen, die vornehmlich weiblich sind.“ Mit anderen Worten: Fixiert euch nicht auf die männlichen Verantwortungsbereiche im Vatikan, Mädels, schafft euch eure eigenen. Interessant. Vornehmlich weibliche Ämter? Was kann das sein? Es geht wohl nicht um eine Art Gegenstück zum männlichen Priesteramt? Um ein neues Jobprofil (und einen Aufschlag, ja!) für alle beim Vatikan angestellten Mütter? Vielleicht um gesplittete Spitzenpositionen, die sich Männer und Frauen teilen könnten? Fragen über Fragen.
Die Idee vornehmlich männlicher und weiblicher „Ämter“ ist allerdings ein wohl eher ungewohntes Gedankenspiel für Leute, die davon ausgehen, dass jeder „Job“ von beiden Geschlechtern ausgeübt werden kann bzw. können soll. Es wäre schon seltsam, wenn man Frauen in Italien untersagen würde, Politikerin zu werden. Oder Männern in Deutschland, Geburtshelfer (in Italien hab ich mal einen kennengelernt, er konnte wunderbar Spritzen setzen, doch das nur am Rande). Die katholische Kirche unterscheidet dagegen zwischen Beruf (da behandelt sie Männer und Frauen gleich, was sich etwa an der gleichen Bezahlung für gleiche Leistung ablesen lässt) und Berufung.Sie glaubt an spezifisch männliche und weibliche Berufungen, geht von der Komplementarität der Geschlechter aus. Deshalb ist es für Kardinal Ravasi auch kein Widerspruch, einen rein weiblichen Frauenrat zu gründen und sich gleichzeitig gegen „Frauenquoten im Vatikan“ auszusprechen: „Ich bin skeptisch mit Blick auf Frauenquoten, also auf das Mechanische und Mathematische, Halbe-Halbe. Ich bin aber überzeugt davon, dass es eine weibliche Präsenz braucht, und eine relevante Präsenz, die nicht nur irgendwie Farbe und neue Eindrücke gibt, wie man das ja oft hat bei Beratungsgruppen. Unsere soll stattdessen wirklich ins Innere der Fragen eintreten, auch mit ihren kritisierenden Fähigkeiten.“
Ist eine solch „relevante weibliche Präsenz“ von Frauen in hohen Vatikanpositionen aber ohne Anpassungen in der Personalpolitik wirklich realistisch? Externe Beraterinnen sind die eine Sache – wie weit aber werden solche Frauen stärker auch im „Inneren des Vatikans“ vordringen können? Dass ein Mentalitätswandel begonnen hat, lässt sich schon beobachten. Es ist zu vermuten, dass dieser voranschreiten wird, je mehr Frauen de facto auch im Vatikan präsent sind.