Der fünfte und letzte Teil meiner Reihe über die ersten Christen in Asien führt nach Korea. Ich habe mit einem Wissenschaftler gesprochen, der hier Überraschendes zutage gefördert hat.
Im Oktober 1333 sendet Johannes XXII. einen Brief in den fernen Osten. Der in Avignon residierende Papst hat großes Interesse an Mission im asiatischen Raum, trotz der Querelen mit Kaiser Ludwig dem Bayern, die sein Pontifikat bestimmen. Das auf Latein verfasste Papstschreiben ist an den koreanischen König Chung-suk gerichtet, den „hochwohlgeborenen Mann Socus von Chigista“. Darin lobt der Papst die Toleranz des Königs gegenüber Christen im Land und verpflichtet ihn auf den Schutz dieser Gläubigen.
„Dem lebendigen und wahren Gott, König der Könige und der Herrschenden Herr, leistet du erwünschten Gehorsam, indem du dich den alten oder neuen Christen, die in deinem Reich im Glauben Christi ausharren, mit gütiger Menschlichkeit zuwendest und jene nach Gewohnheit der Gunst behandelst; was du, wie wir mit Freude hörten, wirklich tatest. In dieser Hinsicht wird deinem Namen guter Ruf und Ehre hinzugefügt, wenn du die Augen deines Geistes zur Allmacht der göttlichen Majestät erhebst und mit dem, was du bis jetzt lobenswerterweise getan hast, auch in Zukunft gütig fortfährst. Denn dadurch wird deine Königswürde über besagtes Land in Ehre befestigt werden, und wenn du an unseren Herrn Jesus Christus glaubst, getauft wirst und das christliche Gesetz, ohne das niemand zur Erlösung kommt, auf dich nimmst und erfüllst, wirst du erlöst werden.“ (zitiert nach Toepel)
Dieses Dokument zeigt nicht nur, dass das christliche Abendland in dieser Zeit mit dem konfuzianisch geprägten Denken Ostasiens in Kontakt war. Es verweist auch auf Christen, die in dieser Zeit in Korea lebten, vor gut 700 Jahren, an der Schwelle zum 14. Jahrhundert. Das betont Dr. Alexander Toepel, der an der Universität Tübingen über die Geschichte der ersten Christen in Korea promoviert hat. Der Papst solle den koreanischen König in dem Brief auch aufgefordert haben, den neuen Erzbischof von Khanbaliq, Peking, wohlwollend zu begegnen. Johannes von Montecorvino (1246-1328), erster katholischer Erzbischof von Peking und Patriarch des Orients, war wenige Jahre zuvor verstorben.
Mongolischer Einfluss in Korea
Was lässt sich über die ersten Christen in Korea sagen, von denen hier die Rede ist? Toepel hat durch seine Aufbereitung fremdsprachiger Quellen und Sekundärliteratur dieses Thema für den deutschsprachigen Raum überhaupt erst erschlossen.
„Das sind zunächst Einzelhinweise, aber wenn man die in der Zusammenschau sieht, dann ergibt sich da eigentlich ein ziemlich spannendes Bild. Die Zeit 1250 und 1340 ist ja bekannt als die Mongolenzeit. Und auch Korea ist von den Mongolen nicht verschont geblieben, sie haben mehrfach versucht, Korea zu erobern. Das ist ihnen nicht gelungen, Korea ist selbständig geblieben, war aber völlig abhängig von den Mongolen. Und es war u.a. so, dass mongolische Diplomaten und Beamte nach Korea gekommen sind; die Christen in Korea finden sich eben in genau dieser Personengruppe.“
Viele Christen in Korea dürfte es in dieser Zeit noch nicht gegeben haben, die Quellenlage ist auch eher dürftig, so Toepel. Und doch zeugen Einzelberichte von der Eigenart dieser Gläubigen im koreanischen Kontext, bei denen es sich zumeist um Gelehrte und Diplomaten gehandelt haben muss.
„Zum Beispiel ist bekannt, dass ein mongolischer Beamter namens Giwargis so um 1290 nach Korea gekommen ist, Giwargis ist Georg, das ist die syrische Form des Namens Georg, Georg der Reiterheilige, ein beliebter Name bei den Reitervölkern, Turkvölkern, den Mongolen selber. Über diesen Giwargis wird in einem koreanischen Geschichtswerk berichtet, ohne weiteren Kommentar, ganz kurz, dass er versucht hätte, die Leibeigenschaft in Korea aufzuheben. Das ist natürlich recht interessant, weil das nestorianische Kirchenrecht den Besitz von Sklaven verbietet, so dass man da also schon vermuten kann, dass da ein christlicher Hintergrund auch vorhanden ist.“
In der Gunst der koreanischen Königin
Über den Kontakt mit den Mongolen kommt das Land in dieser Zeit einerseits mit Christen in Kontakt, die in der Tradition der ostsyrischen Kirche stehen, andererseits dringen auch lateinische katholische Missionare bis nach Korea vor. Dass sich Papst Johannes XXII. in seinem Brief an das Oberhaupt eines am anderen Ende der Welt gelegenen Landes richtet, ist an sich schon berichtenswert. Interessant an dem Dokument ist aber auch die offensichtliche Überzeugung des Papstes, dass er Gehör am koreanischen Königshof finde. Wusste er, dass es dort eine Christin in allerhöchstem Range gab? Es ist die Mutter des koreanischen Königs, an den er schreibt, Asujin. Dazu Toepel:
„Asujin bedeutet ,die Alanin‘, eine Frau aus dem Stamm der Alanen. Das war ein Reitervolk, das ursprünglich im Kaukasus beheimatet war, dort wo heute Ossetien ist, und die die Leibwache der mongolischen Herrscher gestellt haben, deswegen also überall präsent waren, wo also die Khane eben residierten und die orthodoxe Christen waren. Man kann also mit aller Wahrscheinlichkeit annehmen, dass diese Asudschin, die Frau des koreanischen Königs, dann die Mutter des Kronprinzen, des späteren Nachfolgers dieses Königs, auch Christin war.“
Die Frau des koreanischen Königs könnte ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass die Christen in Korea zumindest nicht als Fremdkörper wahrgenommen wurden – ein ähnlicher Effekt wie in den mongolischen Herrschaftshäusern, wo die Heirat mit Christinnen Tradition hatte. Ob Asujin das Christentum letztlich an ihren Sohn weitergab, ist unklar. Ebenso, ob er tatsächlich als „Beschützer der Christen“ auftrat. Toepel kommt noch einmal auf den Papstbrief zu sprechen:
„Aus dem Brief selber kann man nicht gut erkennen, ob der Christ war oder nicht – ich denke eher nicht, denn sonst hätte man da noch einen stärkeren Appellcharakter gehabt. Aber es ist an sich einfach spannend zu sehen, wie sich diese Einzelfälle addieren.“
Wie die frühen Christen in Korea damals tatsächlich wahrgenommen wurden, ist heute schwer zu sagen. Auch gibt es – anders als in China, wo Texte ostsyrischer Christen auf Chinesisch verfasst wurden – aufgrund der lückenhaften Quellenlage für diese Zeit keine Zeugnisse über Inkulturation, berichtet Toepel. Während für China in dieser Zeit unter mongolischem Patronat viele Christengemeinden belegt sind, lassen sich also die frühen Ausläufer des Christentums in Korea nur eher skizzenhaft nachzeichnen. Toepel vermutet, dass der christliche Einfluss in dieser Zeit eher begrenzt war:
„Man darf sich das nicht so vorstellen, dass da jetzt Gemeinden oder so etwas entstanden wären, es gab höchstwahrscheinlich auch keine Konversionen von Koreanern zum Christentum, sei es jetzt nestorianisch, sei es katholisch.“
Mongolen als Globalisierer
Trotz der unglaublichen Entfernung fühlen sich diese frühen Christen in Korea verbunden mit ihren religiösen Oberhäuptern im fernen Westen: die Katholiken mit dem Papst, die ostsyrischen Christen mit dem Katholikos-Patriarchen in Mesopotamien. Die Kirche des Ostens steht im 13. Jahrhundert in voller Blüte: Vor allem dank ihrer Missionserfolge in Indien und unter den mongolischen Völkern ist sie zur geografisch größten Missionskirche des Mittelalters aufgestiegen. Entlang der Seidenstraßen reihen sich Bischofssitze, in Mesopotamien, Zentralsien, Indien, China und Korea leben ostsyrische Christen.
Einen globalen Schub erhält das Christentum insgesamt nicht zuletzt durch den Aufstieg der Mongolen. Dazu schreibt die chinesische Religionsforscherin Li Tang, ich zitiere hier aus ihrem Artikel „Spurensuche auf historischen Pfaden. Das ostsyrische Christentum im mittelalterlichen China“: „Die stürmischen und grausamen Einfälle der mongolischen Kavallerie führten zweifelsohne zu einer schrecklichen Zerstörung sowohl der nomadischen als auch der sesshaften Gesellschaften in ganz Eurasien.“
Die Folgen des mongolischen Erbes könnten jedoch auch als Motor einer „beispiellosen Einigung Eurasiens“ und in diesem Kontext als Motor für das Christentum verstanden werden, das über die Mongolen nach China und eben bis nach Korea kommt: „Innerhalb dieses größten Imperiums aller Zeiten wurde eine Periode friedlichen transkontinentalen Austauschs eröffnet, die als Pax Mongolica (mongolischer Friede) in die Geschichte einging. Handel, Kommunikation, kultureller Austausch und Technologietransfer zwischen Ost und West wurden im Rahmen des mongolischen Reiches vereinfacht. Zu dieser Zeit fasst auch das ostsyrische Christentum im von den Mongolen regierten China verstärkt Fuß.“
Der mongolische Friede, die „Pax Mongolica“, ermöglicht im Mittelalter entlang der Seidenstraße eine sichere Reise: „Daher begannen Kaufleute, Diplomaten und religiöse Missionare ihre Entdeckungsreisen von West nach Ost oder in die umgekehrte Richtung zu unternehmen.“
Es ist in dieser Zeit, dass sich zwei zur ostsyrischen Kirche gehörige turksprachigen Mönche von China aus zum Grab Jesu nach Jerusalem aufmachen. Einen von ihnen haben wir bereits als Mongolenbotschafter beim Papst kennen gelernt – es ist der Mönch Raban Sauma aus dem heutigen Peking. Der andere, Markos aus Kawshang, steigt Ende des 13. Jahrhunderts unter dem Namen Yahballaha III. (1281-1317) zu einem der bedeutendsten Oberhäupter des ostsyrischen Christentums auf.
Übertritte zum Christentum im 18. Jahrhundert
Doch bleiben wir noch eine Weile in Korea. Auch wenn es Zeugnisse über Christen in Korea aus vorjesuitischer Zeit gibt, sind Konversionen zum Christentum in dem Land erst aus dem 18. Jahrhunderts bekannt. Es handelt sich dabei um Übertritte zum Katholizismus: Koreanische Gelehrte und Diplomaten, allesamt Konfuzianer, waren in Kontakt mit Jesuiten in China und deren Schriften gekommen. So sind es keine ausländischen Missionare, die in Korea die erste katholische Gemeinde gründen, sondern Einheimische, die christliches Gedankengut in ihre Heimat tragen. Der erste Koreaner, der sich in China auf den Namen „Petrus“ taufen lässt, ist Lee Seung Hun. Seine Rückkehr nach Korea im Jahr 1784 wird als offizielles Gründungsjahr der katholischen Kirche dort erinnert. Einmal über den Tellerrand des Konfuzianismus hinauszuschauen ist in der damaligen intellektuellen Szene des Landes nicht neu, so Dr. Toepel: „Es gab in Korea immer, also auf dem Boden der konfuzianischen Philosophie, die eben unbestritten galt, immer Gelehrte, die versucht haben, so ein bisschen die konfuzianische Orthodoxie aufzubrechen, da raus zu gehen, sich interessiert haben eben für andere philosophische Entwürfe.“
Ebenso hat es Tradition, dass Mitglieder des Königshauses und koreanische Diplomaten in den intellektuellen Kreisen Chinas verkehren, wo man schon früh mit Christen in Kontakt gekommen sein dürfte. Die koreanischen Gelehrten mögen das Christentum in der Frühzeit auch als Alternative zum Buddhismus gesehen haben, der im konfuzianischen Korea seit Ende des 14. Jahrhunderts (1392) zurückgedrängt wird. „Das ist denkbar, denn das ist die Situation, die man dann später in Korea hat und die ja dann auch zur Entstehung der katholischen Kirche in Korea selber geführt hat.“
Koreanische Gelehrte setzen sich ab Ende des 18. Jahrhunderts intensiv mit dem Christentum und westlichem Gedankengut auseinander, an dem sie breites Interesse zeigen: „Und zwar sowohl an den eigentlich religiösen Inhalten, an den christlichen Inhalten im engeren Sinne, aber natürlich auch an dem ganzen Bereich Astronomie, Technik oder auch perspektivische Malerei, die sich eben ganz deutlich unterschied von der ostasiatischen Malerei. Da haben die sich ganz stark für interessiert, haben sich mit christlicher Literatur eingedeckt, haben die nach Korea gebracht und dort diskutiert mit pro und contra, zum Teil auch sehr heftig.“
Konflikt mit dem koreanischen Herrscherhaus
Die christliche Gemeinde in Korea beginnt in dieser Zeit zu wachsen, Mitte des 18. Jahrhunderts zählt sie bereits 10.000 Mitglieder. Zu dieser Zeit gerät sie zum ersten Mal in Konflikt mit dem koreanischen Herrscherhaus. Äußerlicher Anlass dafür ist ein Streit um den Ahnenkult: Einige Christen wollen den Ahnen keine Opfer mehr bringen – in Konformität mit dem Papst in Rom, der den Kult als Irrlehre verurteilt. Für die Konfuzianer ein klarer Affront gegen ihre Lehre, so Toepel: „Alles, was die Riten für Verstorbene betraf, das war ein ,no go’ für die Konfuzianer. Wenn Koreaner angefangen haben, so ähnlich wie beim Ritenstreit in China, für ihre verstorbenen Eltern nicht mehr die Riten zu vollziehen, dann ist das sehr sehr negativ wahrgenommen worden.“
Die tieferen Gründe für die Ablehnung und Verfolgung der Christen, die nun in Korea beginnen sollten, dürften jedoch im subtil umstürzlerischen Potential des Christentums gelegen haben: Konvertierte Christen praktizieren in Korea Gütergemeinschaft, schenken Sklaven die Freiheit und propagieren die Gleichheit und Würde aller Menschen – Prinzipien, welche die hierarchische koreanische Gesellschaft des Joseon-Regimes zu untergraben drohen. Das folgende historische Kapitel lässt sich für Koreas katholische Kirche als „Jahrhundert der Christenverfolgung“ zusammenfassen: Allein im 19. Jahrhundert sollen schätzungsweise 10.000 koreanische Katholiken der Verfolgung zum Opfer gefallen sein. So war die Würdigung koreanischer Märtyrer auch ein Teil der Papstreise nach Südkorea im August 2014.
Der Niedergang der ostsyrischen Kirche
Und welches Schicksal ereilt die ostsyrischen Christen insgesamt? Ab dem 13. Jahrhundert schrumpft die Kirche des Ostens unter Druck des Islam, des Hinduismus und des Buddhismus erheblich zusammen. Im Westen kann das Christentum nach einer Phase der Verfolgung um 1500 herum wieder Fuß fassen, nicht so im Osten. Die assyrischen Kirche des Ostens, die in Nachfolge der frühen ostsyrischen Christen steht, umfasst heute schätzungsweise nicht einmal mehr eine halbe Million Gläubige. Viele von ihnen leben in der Diaspora, zum Beispiel in den USA, oder sind in ihren angestammten Regionen durch Konflikte und Extremismus bedroht, wie etwa im Irak.
Der Historiker Philip Jenkins beschreibt den Untergang der Kirche des Ostens als „Vernichtung einen parallelen Welt“, die das weltweite Christentum „von seinen Wurzeln“ abgeschnitten hat. Darüber schreibt er in seinem Buch „Das goldene Zeitalter des Christentums“, Zitat:
„Eine brutale Säuberung des Christentums, die in Asien am heftigsten ausfiel, führte dazu, dass Europa der geografische Mittelpunkt des christlichen Glaubens und die einzig mögliche Ausgangsbasis für eine spätere Ausbreitung wurde. Die Vernichtung war nicht vollständig, aber ganze Regionen waren ohne christliche Gemeinden, und an manchen Orten stellten die Gläubigen nur noch einen winzigen Bruchteil der Bevölkerung.“ (S. 39)
Diese Entwicklung hat laut Jenkins zu einem eurozentristischen Blick auf das Christentum geführt, der die Ursprünge und Entfaltung dieses Glaubens jenseits des römischen Reiches unterschlägt. Um das ganze Bild zu sehen, müsse man sich auf Spurensuche begeben und die Wege der ersten Christen in Asien nachzeichnen:
„Wir können die Geschichte des Christentum nichts ohne Asien verstehen, oder die Geschichte Asiens nicht ohne das Christentum.“ (S. 25)
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Die ganze Audioreihe (#Teil 1-5) kann gegen den Unkostenbeitrag auf CD bestellt werden: cd@radiovatikan.de