Im dritten Teil meiner Reihe zum frühen Christentum in Asien mache ich einen Sprung in die islamisch bestimmte Welt. Auch wenn die arabischen Völker für das Christentum über lange Phasen der Geschichte eine Bedrohung darstellten, gibt es auch Beispiele eines intensiven und fruchtbaren Austausches. Zum Beispiel zur Zeit des Katholikos-Patriarchen Timotheos I. Ende des 8. Jahrhunderts im heutigen Irak.
Unter seiner Kirchenleitung wird die Mission vorangetrieben und teilweise systematisiert: Timotheos gibt den ostsyrischen Mönchen Anweisungen, wie das Evangelium zu verbreiten sei und lässt Bischofssitze in Syrien, Turkestan, Armenien und Dailam am Kaspischen Meer errichten.
Eine universelle Kirche
Timotheos’ Gläubige kommunizieren auf Syrisch, Persisch, Türkisch, Sogdisch und Chinesisch. Dass Fingerspitzengefühl in der Kirchenleitung erforderlich ist, weiß er sehr wohl. Der Historiker Philip Jenkins schreibt über den charismatischen Kirchenführer: „Wenn er eine liturgische Fachfrage erörterte, versicherte er sich der Unterstützung der ihm bekannten, weiter entfernten Kirchen des sich ausdehnenden Christentums: Die Perser und die Assyrer tun dies nicht, argumentierte er, und auch nicht die Kirchen der Länder des Sonnenaufgangs, unter den Indern, Chinesen, Tibetern und Türken.“ (S. 26)
Timotheos hat zu Lebzeiten Aufsicht über 19 Metropoliten und 85 Bischöfe. Dialog mit anderen Religionen ist für seine global agierende Kirche mehr als nur Option. Vor allem der mit dem Islam, unter dessen politischer Herrschaft die meisten östlichen Kirchen zu dieser Zeit leben. Berühmtes Beispiel eines kultivierten interreligiösen Austauschs ist Timotheos‘ Gespräch mit dem Kalifen Al-Mahdi über den wahren Glauben. Der Patriarch stellt dem Kalifen in einem Gleichnis den wahren Glauben als kostbare Perle dar; der Austausch der beiden wird allgemein als „Disputation“ beschrieben:
„Wenn nun in einem dunklen Haus in der Nacht eine kostbare Perle mitten unter die Leute fällt und alle wüssten, dass sie da ist, dann würde jeder danach streben, die Perle aufzuheben … Wenn dann aber Nacht und Finsternis weichen und Licht und Tag hervorkommen würde, dann würde jeder von denen, die sich im Besitz der Perle gewähnt hatten, sich recken und seine Hand zum Licht ausstrecken, welches alleine zeigen kann, was jeder in der Hand hat.“
In gleicher Weise sei die Perle des wahren Glaubens in die Welt gefallen und jede Religion meine, sie zu besitzen, so Timotheos. Die letztgültige Wahrheit könne in dieser Welt aber nicht erkannt werden, fährt er fort, allein, dass Religionen meinten, die Perle – die Wahrheit – sei die ihre.
Christen als Übersetzer und Kulturbotschafter
Dass Timotheos so frei sprechen kann, hat einen Grund: Christen genießen am Hofe des Kalifen in Bagdad als Berater, Diplomaten, Gelehrte und Übersetzer im 9. Jahrhundert Respekt. Timotheos, der seine Residenz in die Hauptstadt des Abbasiden-Reiches verlegt hat, steht im Dienste des Kalifen, der Zugang zum Gedankengut des Westens sucht. In seiner Akademie, dem „Haus der Weisheit“, werden alle Werke der Antike übersetzt, die aufzufinden sind. Die ostsyrische Kirche spielt hier eine wichtige Rolle bei der Tradierung des Wissens der Antike. Dazu Prof. Dr. Tamcke von der Universität Göttingen: „Wir haben zum Beispiel von Timotheos selbst belegt, wie er einen Auftrag bekommt vom Kalifen, eine Schrift des Aristoteles dem Kalifen zu besorgen. Er übersetzt sie zunächst vom Griechischen ins Syrische und dann ins Arabische. Das heißt, Timotheos betreibt ganz aktiv, nicht nur im Auftrag des Kalifen, sondern auch ohne Auftrag, eine Übermittlung des westlichen Erbes an die neuen Herrscher in seiner Region. Das erhöht das Interesse an ihm und an seiner Kirche.“
Das Besondere des Hauses der Weisheit: Hier gelten nur Beweise der Vernunft, kein religiöser Anspruch. Dass hier mit „nicht rechtgläubigen“ Christen diskutiert wird, ist fundamentalistischen Muslimen schon damals ein Dorn im Auge. Der Austausch nimmt jedoch unter dem Schutz des Kalifen weiter seinen Gang; Bagdad ist in dieser Zeit pulsierendes Zentrum der Wissenschaft, Philosophie und Religion. Timotheos, der irgendwann als „Vater der Christenheit“ bezeichnet wird, zeigt im Dialog mit dem Islam ausgesprochenes Geschick. Auch bei der heiklen Frage, ob Mohammed tatsächlich als Prophet zu sehen sei oder nicht, so Tamcke: „Timotheos ist nicht einfach nur ein Verneiner dem gegenüber wie die meisten christlichen Apologeten dieser Zeit, sondern er sagt: Ja, Mohammed ist in den Pfaden der Propheten gewandelt. Und in dieser Weise des Einverständnisses und des Dialoges – ich würde tatsächlich das Wort Dialog benutzen und nicht so sehr das Wort Disput – ruht das Miteinander des ostsyrischen Christentums über die gesamten Breiten Asiens. Es zeigt ein Interesse an dieser Umwelt und hat dadurch immer eine Tendenz, Praktiken aus der Religion, in deren Lebensbereich sie existieren, auch in die eigene Religion einwandern zu lassen.“
Durchlässigkeit als Stärke
In der westlichen Missionswissenschaft des 20. Jahrhunderts werde dies dem ostsyrischen Christentum auch als Schwäche ausgelegt, so der Experte: Es sei zu synkretistisch gewesen und deshalb untergegangen, werde bemängelt. In der Tat ist der von den ostsyrischen Christen vermittelte Glaube in vielen Fällen völlig in der Volksfrömmigkeit aufgegangen, etwa bei einigen mongolischen Stämmen, räumt Tamcke ein. Nichtsdestotrotz sieht der Missionswissenschaftler die „Durchlässigkeit“ der Kirche des Ostens insgesamt als Vorteil: „Es zeigt eine Religion, die wachsam ist auf ihre Umwelt, die sich nicht abkapselt, sondern mit dieser Umwelt in einem lebendigen Austausch steht und sich dabei nicht scheut, Dinge, von denen sie meint, dass die Umwelt sie richtig erkannt hat, zu übernehmen. (…) Die Stärke dieses Christentums ist ganz klar, es erkennt die Zeichen der Zeit, geht mit den Zeichen der Zeit, was uns auch wieder beruhigen und mutiger machen könnte, den Dingen, die heute anstehen, auch mit einem ,Ja‘ zu begegnen und nicht zu sehr nur auf Abgrenzung zu drängen.“
Auf der anderen Seite hinterlässt auch das Christentum in dieser Zeit Spuren in den Kulturen und Religionen, mit denen es im Austausch steht. Das sei zumindest für den Islam gut nachzuweisen, wenn es auch hier noch viele offene Fragen gebe, so der Missionswissenschaftler: „Zum Beispiel wie die ostsyrische Mönchsmystik, die im Irak ihren Schwerpunkt hat, eingewirkt hat auf das frühe Sufitum, das in derselben Region entsteht. Wir können auch direkte textliche Bezüge herstellen bis in die arabische Philosophie des Mittelalters hinein und umgekehrt aus der arabischen Philosophie des Mittelalters wieder rückwirkend in die orientalische Christenheit. Wo immer die ostsyrischen Christen hinkamen, haben sie sich um die Sprachen der dort ansässigen Völker bemüht und haben dabei natürlich ihre Inhalte an diese Völker weitergeleitet. Das lässt sich sehr schön in vielen Dokumenten dann auch der Muslime und der anderen Völker nachweisen.“
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Nächster Teil der Reihe: Die ersten Christen in China