Das Kreuz mit der Lotusblüte #2

Die Kirche des Ostens breitet sich schnell nach Zentralasien aus, in China leben bereits im 6. Jahrhundert einzelne christliche Mönche. Doch auch nach Südasien führt der Weg dieser Kirche: Indien ist eine wichtige Station des frühen ostsyrischen Christentums. Darum geht es im zweiten Teil der Reihe über das Frühchristentum in Asien.

Die Nachfolger des Thomas

Ins Land kommt das Christentum laut den indischen Christen durch den Apostel Thomas: Er landet im Jahr 52 an der südwestlichen Malabarküste, gründet dort sieben Kirchen und stirbt in Indien als Märtyrer. Erste Hinweise auf die Indien-Mission des Apostels finden sich in den Thomasakten aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts. Dazu der Experte für Orientalische Kirchen- und Missionsgeschichte Martin Tamcke: „Unsere historischen Anhaltspunkte sind dafür nicht ganz hinlänglich , so dass es auch Forscher gibt, die diese frühe Phase einfach ignorieren. Wir müssen aber sagen, dass in den Thomasakten tatsächlich von einem Traum des Thomas die Rede ist, in dem er sieht, wie er einen Palast für einen der nordindischen Könige bauen soll. Das zeigt, dass schon mit der Thomastradition in Richtung Indien zu rechnen ist.“

Die Thomastradition nimmt ursprünglich ihren Ausgang in der Stadt Edessa, dem heutigen Urfa im Südosten der Türkei, und breitet sich von dort aus bis nach Persien, Zentral- und Südasien aus. In Mailapur, einem Bezirk der heutigen indischen Stadt Madras, wird bis heute das Grab des Märtyrerapostels verehrt. Zwischen Persien und jüdischen Gemeinden in Indien besteht in der Antike reger Handel. So breitet sich das Christentum zunächst entlang der Verkehrswege aus, erläutert Tamcke: „Die Bewegung, die wir im orientalischen Raum nach Indien haben, stammen in der Regel aus Mesopotamien, Iran. Das sind Christen in der ostsyrischen Tradition, Angehörige der Kirche des Ostens, die nach Indien kommen, über Händler, dann auch einmal über eine große Bevölkerungsdelegation im 3. Jahrhundert unter einem Kaufmann, wo es so aussieht, als ob sie Bedrängnis-Situationen im Iran entweichen in Richtung Indien.“

Der spätantike Schriftsteller und Kaufmann Kosmas Indikopleustes berichtet im Jahr 550 über Christen selbst in Traprobanê (Sri Lanka). Dort gebe es „eine Kirche von Christen mit Klerikern und eine Gruppe von Gläubigen“: „Doch weiß ich nicht, ob es in den jenseits gelegenen Gegenden auch Christen gibt. Im Land namens Malê (Malagar), wo der Pfeffer wächst, gibt es auch eine Kirche, und an einem anderen Ort namens Calliana gibt es außerdem einen von Persien eingesetzten Bischof.“

Ausbreitung bis nach Japan

Von Indien und Sri Lanka aus geht der Weg des ostsyrischen Christentums noch weiter bis ins südchinesische Kanton, Guangzhou, am Perlfluss. Auch Japan ist bald erreicht. Prof. Tamcke spricht in diesem Kontext von einem „großen Netz dieser Kirche entlang der Handelswege über den gesamten südostasiatischen Raum“.

Indiens Christen sind im 6. Jahrhundert in einer eigenen kirchlichen Infrastruktur organisiert. In Mylapore nahe Chennai, der angeblichen Stätte von Thomas‘ Martyrium, entstehen größere Kirchen; auch in Kottayam sind bis heute nestorianische Kreuze erhalten. Die Thomaschristen von Malabar im heutigen Bundesstaat Kerala stehen in voller Gemeinschaft mit der Kirche des Ostens in Persien, sie sehen den Patriarchen von Babylon als ihr Oberhaupt an und pflegen die ostsyrische Liturgie mit ihren charakteristischen Hochgebeten. Dazu Martin Tamcke: „Wir haben auch Regularien beim Patriarchen Ischo-Jab III. im 7. Jahrhundert, bei denen deutlich wird, dass Indien in diese Kirche integriert ist. Gepflegt wird das in Gesängen, es wird memoriert. Bis heute haben wir diese Gesänge nur als Element der oralen Tradition. Sie zeigen deutlich, dass der Rückgriff auf das Erbe des Apostels Thomas ein Selbstverständnis stärkt, in evangelischer Zeit entstanden zu sein, und dass man eine besondere Nähe zum Orient pflegt. Und dass diese Kirche darauf Wert legt, dass sie genau so alt ist wie die Kirchen des Westens.“

Mission ohne Macht

Wie lässt sich diese Kirche charakterisieren? Die Kirche des Ostens ist in fast allen Regionen, in denen sie sich ansiedelt, in der Minderheit und kann auf die jeweiligen Herrschenden wenig zählen. Vor diesem Hintergrund muss sie besondere Fähigkeiten entwickeln, um bestehen und Mission betreiben zu können, betont der Theologe Tamcke: „Wir haben hier ein Christentum vor Augen, dass nie in irgendeine Einheit mit der Macht eintrat. Was wir in unserer westlichen Kirchengeschichte die konstantinische Wende nennen, das heißt der Übertritt des Herrschers zum Christentum und damit das Einswerden in gewisser Weise von Religion und Macht, kennen die Christen in dieser Region über die ganzen Jahrhunderte überhaupt nicht. Auch ihre Mission konnte nie durch Mithilfe eines Staates erfolgen.“

Und am Anfang auch nicht mit Hilfe erprobter kirchlicher Strukturen, die ja in der frühen Missionsphase gerade erst entstehen. Ebenso wenig können sich die frühen Christen auf das Neue Testament stützen, das in diesen Jahren nur in Form einzelner Schriften und lediglich lokal zirkuliert. Die ostsyrischen Christen müssen deshalb „auf das setzen, was sie an Überzeugung vermitteln“ können, wie Tamcke es formuliert. Auch wenn sie äußerlich eher unprätentiös daherkommen – Handel betreiben und sich unters Volk mischen – hinterlassen sie doch Eindruck, weiß der Missionswissenschaftler: „Dass sie in schlichter Kluft mit wenig Habe über große Strecken wandern und einfach nur als Asketen unter Menschen anderer Religionen zunächst auftreten, macht die anderen Religionen und die andere Umwelt auf sie aufmerksam und interessiert und führt dann in den religiösen Dialog.“

Man könnte auch sagen, diese Christen setzen ganz „auf den Heiligen Geist“, nicht auf so sehr auf Besitz und feste Formen. Vorbild auch für Kirche heute? Tamcke, der evangelischer Theologe ist, findet das schon: „Das kann die Kirche in Europa beruhigen, die zu kämpfen hat mit ihren Existenzbedingungen: Dass ein Christentum sehr wohl über die Jahrhunderte existieren kann, ohne dass es geschützt wird durch eine staatliche Macht, als eine verschwindende Minorität unter Umständen, und dabei auch aktiv in den Staat einwirken kann.“

Schützenswerte „Spezies“

Was etwa für die Christen bei den Mongolen gilt, auf die ich später noch zu sprechen komme. Doch auch in Indien finden die frühen Christen ab dem 2., 3. Jahrhundert ihren Platz. Anders als heute in dem Land, wo es immer wieder zu Übergriffen auf Christen kommt, gibt es in der Geschichte der frühen indischen Christen kaum Berichte über Diskriminierung oder gar Verfolgung – eher das Gegenteil sei der Fall, so Tamcke: „Das ist ganz interessant – man könnte ja meinen, sie wären dort Fremdkörper gewesen. Aber wenn man die Kupferplatten sieht, die Bestimmungen enthalten, wie die Christen zu behandeln seien, etwa im Königreich Cochin, dann sieht man, dass andere Religionen sogar in die Pflicht genommen werden, um die Christen zu schützen, in jedem Fall die Juden, und es schient auch so, dass das auch ein Gebot für die Muslime später war, dass sie eine Schutzfunktion gegenüber den Christen hatten.“

Christen können in Indien also in dieser Zeit ihren Glauben ungestört leben, ohne sich vom sie umgebenden Hinduismus und später Buddhismus krampfhaft abgrenzen zu müssen. Als Hinweis darauf lassen sich Kreuzsymbole mit der Lotusblüte anführen, die von manchen Christen in Südindien und auch China in der Frühzeit verwendet werden. Im Jahr 1500 berichtet ein ostsyrischer Christ, dass es in Indien „etwa 30.000 Familien von Christen“ bzw. „Glaubensbrüdern“, gebe. Der Historiker Philip Jenkins zitiert in seinem Buch „Das goldene Zeitalter des Christentums“ einen unbekannten Nestorianer: „Sie haben damit begonnen, neue Kirchen zu bauen; es geht ihnen in jeder Hinsicht gut, und sie leben in Frieden und Sicherheit.“ (S. 90):

Spaltung der indischen Christenheit im 16. Jahrhundert

Mit der Kolonisierung Indiens durch die Portugiesen wird im 16. Jahrhundert für die Christen dort ein neues Kapitel aufgeschlagen: Die römisch-katholische Kirche hält im Land Einzug. Dies hat weit reichende Folgen für die ostsyrische Kirche, die sich bis dahin in Indien selbständig entwickelt hat. Als sich der portugiesische Seefahrerpionier Dom Vasco da Gama, der Entdecker des südlichen Seewegs nach Indien, bei den indischen Christen vorstellt, scheint der Kontakt zunächst positiv zu sein, so Prof. Tamcke: „,Wir suchen Christen und Gewürze‘ war eine seiner Auskünfte – die Christen werden freundlich von den Portugiesen gesehen und sehen noch freundlicher die Portugiesen, man empfindet eine gewissen Verwandtschaft zueinander.“

Allmählich nimmt jedoch der Wunsch Überhand, dass man „auch eine kirchliche Einheit“ bilden möge. Die portugiesischen Kolonialherren akzeptieren anfangs noch Bischöfe, die der chaldäische Patriarch (der assyrischen Kirche des Ostens) nach Indien entsendet. Dann aber üben sie Druck auf diese aus und bezichtigen die Thomaschristen der Häresie. Letztlich mündet diese Entwicklungen in den Anschluss der ostsyrischen Kirche an die römisch-katholische, und die folgende „Zwangslatinisierung“ der indischen Christenheit und ihrer Liturgie zieht leidvolle Erfahrungen nach sich: „Die Latinisierung hat nach einiger Zeit die Folge, dass man auf einer entsprechenden Versammlung der syrischen Christen – nach der Synode, die die Latinisierung vorangetrieben hatte – beschließt, sich wieder zu verselbständigen und aus der Einheit mit den Portugiesen auszutreten. Man schwört bei einem Kreuz mit Seilen daran, so dass sich das Kreuz biegt, sagt die Tradition, und entwickelt dann wieder eine eigenständige ostsyrische oder jedenfalls syrische Kirche in Indien, die aber sehr bald ihren Kontakt zur Mutterkirche in Mesopotamien nur schwer aufrechterhalten kann.“

Die Latinisierung führt zur Entwurzelung und dann zum Bruch mit Rom: Mit dem „Schwur vom Schiefen Kreuz“ geloben die Thomaschristen von Kerala im Jahr 1653 ihre Unabhängigkeit von der lateinischen Kirche der portugiesischen Eroberer und Jesuiten – ein Ereignis, das in der indischen Kirche eine ähnlich große Bedeutung hat wie Luthers Thesenanschlag in Deutschland. Der symbolische Akt markiert die Spaltung der indischen Christenheit, resümiert Tamcke: „Insgesamt bedeutete die Ankunft der Portugiesen für die indische Christenheit eine Zersplitterung.“

Heute sind einige Millionen Christen in Südindien auf die Mission der ersten ostsyrischen Christen zurückzuführen. Die meisten von ihnen sind mit der katholischen oder orthodoxen Kirche verbunden. Der ostsyrische Ritus wird heute in Indien von der mit Rom unierten syro-malabarischen Kirche, der Stammkirche der Thomaschristen, weiter praktiziert.

Nächste Folge: Das Haus der Weisheit, oder: Dialog mit dem Islam

2 Gedanken zu „Das Kreuz mit der Lotusblüte #2

  1. menuchaprojekt

    In Deinem Abschnitt ‚Mission ohne Macht‘ zum Thema ‚Heiliger Geist‘ wurde ich wieder an eine Aussage von dem Schweizer Theologieprofessor Dr. Walter Hollenweger erinnert. Er schreibt über die Gabe der Sprachenrede, die der Heilige Geist schenkt: „Zungenreden kann in den Dienst des Reiches Gottes gestellt oder zum Aufpolieren des eigenen Egos missbraucht werden. Paulus behauptet sogar, wer in Zungen rede, der kommuniziere mit den Tiefenschichten seiner Seele. Nach meiner Erfahrung kann es uns reifer und kritischer uns selbst gegenüber machen. Wenn die Kirche diese Gabe nicht lächerlich gemacht hätte, wären wir heute kaum so hilflos dem Psychoboom gegenüber. Auf alle Fälle entdeckten die Jünger am Pfingstfest: Wir haben mehr Begabungen als die Gabe analytischen Denkens, wir müssen nicht mit fünf Prozent unseres menschlichen Potentials dahinvegetieren.“ Aus: Horst Georg Pöhlmann; Heiliger Geist – Gottesgeist, Zeitgeist oder Weltgeist

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