Wie kam der Mongole nach Rom? #1

Die Zukunft des Christentums liegt in Asien, heißt es heute ja immer öfter – doch auch seine Frühgeschichte und Blütezeit ist in dieser Ecke der Welt zu verorten. Davon möchte ich an dieser Stelle in fünf Kapiteln erzählen. Im folgenden, ersten Teil der Reihe geht es um die Ursprünge der Kirche des Ostens. In den nächsten Folgen reisen wir dann zurück in der Geschichte nach Indien, Bagdad und bis nach China und Korea, wo bereits um 1300 erste Christen lebten.

Wir schreiben das Jahr 1287. Der Mongolenherrscher Ilkhan Argun schickt den christlichen Mönch Raban Sauma Richtung Westen. Er soll die europäischen Christen für den Kampf gegen die Mameluken gewinnen, die von Ägypten nach Syrien vorzudringen suchen. Als der Gesandte, der ursprünglich aus China stammt, an die Höfe des katholischen Europa kommt, staunen die hohen Herren nicht schlecht: Dieser fremde Asket sollte ein christlicher Bischof sein?

Bar Sauma berichtet über ein Christentum ungeahnter Ausdehnung, das sich bis weit bis nach China erstreckt. Dabei untersteht der fromme Mann weder dem Papst in Rom noch dem Patriarchen in Byzanz; das Oberhaupt seiner Kirche ist ein Katholikos mit Sitz in Mesopotamien, dem heutigen Irak: „Viele unserer Priester sind in die Länder der Mongolen, Türken und Chinesen gegangen und haben diese bekehrt. Heute gibt es viele mongolische Christen“, berichtet der selbstbewusste Mönch, der eine lange Reise hinter sich hat. Er scheint überzeugt davon zu sein, dass diese Expansion weitergehen wird.

Das Wort „globales Christentum“ wäre Raban Sauma, hätte es das damals schon so gegeben, wohl selbstverständlich über die Lippen gegangen. Diese historische Begegnung zwischen West- und Ostchristentum zeigt, welche ungeheure Ausdehnung die Kirche des Ostens hatte, der Bar Sauma angehörte. Die Anfänge dieses Christentums liegen im Persien der Spätantike, Schwerpunkt dieser Kirche ist Mesopotamien im heutigen Irak.

Ein Merkmal dieser frühen Christenheit, die im 2., 3. Jahrhundert entstand, ist ihre asketische Lebensweise, erklärt der Experte für Orientalische Kirchen- und Missionsgeschichte von der Uni Göttingen, Prof. Dr. Martin Tamcke: „Man kann sich fragen, ob nicht die ganzen Gemeinden eine quasi mönchische Lebensweise hatten: Das sind die sog. ,Söhne und Töchter des Bundes‘, die quasi monastisch lebten und Askese übten, sich von der Welt absonderten und das als eine strenge Haltung der gesamten Gemeinde gegenüber den übrigen Religion der Region praktizierten.“

Im persischen Reich sind diese Christen in der Minderheit, genau wie die dort lebenden Juden. Das Leben ist geprägt durch heidnische Kulte; religiöse Identität ist Unterscheidungsmerkmal und wird hier auch im Austausch entwickelt. Die Kirche Aphrahats, des ältesten syrischen Kirchenvaters, pflegt ihre Treue zur Mutterkirche in Jerusalem; sie wählt ihre Bischöfe traditionsgemäß unter den Angehörigen des Jakobus aus, des „Bruders des Herrn“ (vgl. Mk 6,3). In Aphrahats Darlegungen, den „Demonstrationes“, schreibt der Mönch über asketische Fragen, den Glauben, Gebet und Buße. Zum Fasten hält er zum Beispiel fest:

„Denn es ist stets vorzüglicher, dass der Mensch sich der Sünden enthalte, als dass er ohne Speise und Trank faste, oder sich kasteie, oder seinen Hals wie einen Haken krümme, oder sich in Sack und Asche demüthige, wie Isajas sagt. Denn wenn sich der Mensch der Speise und des Trankes und aller Lebensbedürfnisse enthält, sich in Sack und Asche demüthigt und trauert, so ist Dieß zwar Gott wohlgefällig, angemessen und schön; aber noch weit schöner ist es, wenn er sich verdemüthigt, die Riegel der Sünde löst und die Fesseln des Truges bricht. Alsdann strahlt sein Licht hervor gleich einer Sonne, und seine Gerechtigkeit zieht vor ihm her. Er wird gleich einem wonnevollen Paradiese und gleich einer Quelle, deren Wasser nicht versiegen. Nicht gleicht er den Heuchlern, welche finstere Mienen annehmen, ihr Angesicht entstellen und ihr Fasten zur Schau tragen.“ (Abhandlung über das Fasten, 59)

Aphrahat (260/75-345 circa), auch genannt „Der Weise“, sieht sich selbst als „Jünger der Heiligen Schrift“ des Alten und des Neuen Testamentes, das in dieser Zeit formal kanonisiert wird. Persien und Rom führen in dieser Phase Krieg gegeneinander, vielleicht auch deshalb bleibt der Gelehrte vom Denken des Westens und der Christen dort weitgehend unberührt. Doch auch Aphrahats Kirche beruft sich auf die Apostel Jesu bzw. deren Schüler, so Tamcke: „Die Apostel, die über diese Region hinweg zogen und durch sie hindurch, sind Bartholomäus und Thomas. Und die Apostelschüler, auf die die Kirche in ihrer Gründung zurückführt, sind Mari und Addai (der Apostel Thaddäus, Anm.).“

In Strukturen greifbar wird diese Kirche dann im 4. Jahrhundert: Sie bildet ein eigenes Kirchenzentrum aus in der Hauptstadt des Sassanidenreiches, in Seleukia-Ktesiphon, und bekommt ein eigenes Kirchenoberhaupt. … Man kann sagen, dass diese Kirche einen eigenen Ursprung hatte, und diesem eigenen Ursprung später mit anderen theologischen Entscheidungen Nachdruck verliehen hat.“

Eine dieser Entscheidungen ist Ende des 5. Jahrhunderts die Übernahme der Theologie des Patriarchen Nestorius von Konstantinopel, der 431 auf dem Konzil von Ephesos dafür exkommuniziert wird, dass er eine angeblich abweichende Christologie vertritt. 484 beschließt die Synode der ostsyrischen Christen, die verdammte Lehre des Nestorius als für ihre Kirche verbindlich anzunehmen. Bei dieser Entscheidung, einen Weg loyal zum Persischen Reich und in Gegenüberstellung zum Persischen Reich einzuschlagen, spielen auch Unterschiede in Lebens-und Verhaltensweisen eine Rolle. Prof. Tamcke: „Zum Beispiel, indem man kein Zölibat hat, sondern bis zum Patriarchen hin verheiratet sein musste – eine Entscheidung, die dann im Laufe des 6. Jahrhunderts wieder zurückgenommen wird.“

Aufgrund der Kontroverse von Ephesos wird die Geschichte der ostsyrischen Christen, die seit dieser Zeit fälschlicherweise als „Nestorianer“ bezeichnet werden, als Geschichte einer „Kirchenspaltung“ erzählt. Tatsächlich aber sind Nestorius und der Disput um das rechte Verständnis vom Wesen Christi nur einzelne Elemente in einer komplexeren Geschichte. Ostsyrische Christen weisen den Vorwurf der Häresie dann auch seit dem Mittelalter selbst zurück und betonen ihre Treue zum Glauben, so wie sie ihn von den Aposteln erhielten.

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Von Mesopotamien aus gelangen ostsyrische Christen bis nach Südindien und über Zentralasien bis nach China. Kaufleute und einfache Mönche reisen über die Handelswege und tragen ihren Glauben nach Osten, sie sprechen Syrisch, die verbindende Sprache der christlichen Aramäer. Der britische Historiker Philip Jenkins hält dazu in seiner Studie „Das goldene Zeitalter des Christentums“ fest – Zitat: „Syrische christliche Schriftsteller verwendeten das Wort Kaufmann auch als Metapher für die, die das Evangelium verbreiteten. Ein Kirchenlied mahnt: Reist gut gewappnet wie die Kaufleute, damit wir die Welt gewinnen können. Bekehrt Menschen zu mir, erfüllt die Schöpfung mit der Lehre.“ (S. 86)

Die Christen des Römischen Reiches können sich seit Kaiser Konstantin auf den Staat berufen, die Situation der Kirche des Ostens sieht anders aus: Nach Machtergreifung der Sassaniden wird die christliche Minderheit im Persischen Reich blutig verfolgt. Die fremden Länder und Völker, in die das ostsyrische Christentum ausstrahlt, jagen den zähen Syrern vor Hintergrund dieser Erfahrungen wohl keine besondere Angst ein. Zitat Jenkins: „Diese Gläubigen waren mit dem modernen Konzept des Christentums als einer Minderheitenreligion gut vertraut, das weit entfernt von den Machtzentren wirkte, für gewöhnlich von staatlicher Seite diskriminiert wurde und ständig in Gefahr war, verfolgt zu werden.“ (S. 34)

In der nächsten Folge geht es um die ersten Christen in Indien

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